Prosa

Friedenskind

Eva Zirkelbach: Friedenskind

Im Menschen ist nicht allein Gedächtnis, sondern Erinnerung.
Thomas von Aquin

Friedenskind
Der Verschlag unter dem Dach war keine zwei Meter breit, zwei Meter fünfzig lang und an der höchsten Stelle des steilen Dachgebälkes ungefähr einen Meter fünfzig hoch.
Die kleine, staubige Dachluke ließ einen müden Strahl Sonnenlicht herein, der wie ein fahler Scheinwerfer die alte Holztruhe beleuchtete.
Antonia strich sich eine graue Strähne aus der Stirn, die tanzenden Staubpartikel reizten ihre Nase. Die Truhe war alles, was noch übrig geblieben war. Die Truhe und die
Geschwister. Generationenwechsel.
Die Großeltern, die Tanten, die Mutter, der Vater, sie alle waren begraben.
Das Haus war leer geräumt, ein Käufer gefunden. Sie hatte darauf bestanden, diese Truhe zu behalten.
Der Deckel knarzte beim Öffnen. Kreuz und quer stapelten sich Kruzifixe: kleine, große, aus Holz, aus Metall, zweiunddreißig Dornenkronen aus allen Zimmern des Hauses
zusammengetragen, von Wänden, Ecken, aus Schubladen, Schränken, Bettkästen.
Sie zählte mehr als alle Winkel des Hauses zusammen.
„HerrSegneUnsUndDieseDeineGabenDieWirVonDeinerGroßenGüteEmpfangenWerdenDurchChristusUnsernHerrnAmen“, Großmutters und Großvaters Stimmen tönten in einem seltsamen, mehrstimmigen Gesang.
Ja, sie schienen in dieser Minute weit weg zu sein.
Es war ein kurzer Moment absoluten Friedens zwischen beiden. Ein regelmäßig wiederkehrender Waffenstillstand vor dem Essen ... zum Download (PDF 9 Seiten)
Farn